Geschenkte Zeit
Und doch muss ich sagen, dass ich die aktuelle Zeit sehr schätze. Das soll aber keinesfalls bedeuten, dass ich mich nicht um uns alle sorge, dass ich nicht mitleide mit denen, denen es so schlecht geht. Und dass ich nicht gedanklich auch bei den Pflegekräften bin, die sich immer wieder grossen Gefahren aussetzen. Und ganz ehrlich, wenn ich an die Situation Italiens denke, dann frage ich mich ganz extrem: Wo führt das noch hin?
Vor dieser Krise hatte ich oft das Gefühl, dass ich nicht allem gerecht werden kann, dem ich gerecht werden sollte. Manchmal war mir jeder Termin, jedes Treffen, einfach alles zu viel. Ich musste lernen, mich nicht immer mit anderen zu vergleichen, die ein scheinbar so grosses Fassungsvermögen haben, dass ihnen nie etwas zu viel ist. Aber eben - wir Menschen vergleichen immer wieder, und Vergleichen ist einfach ungesund.
So kommt mir die aktuelle Situation dahingehend entgegen, dass ich einfach nichts muss. Klar, ich bin irgendwie gerade zu Zwangsurlaub verknurrt. D. h. mein Konto kriegt auch keinen Zuwachs. Dafür bin ich aber in meinen Aktivitäten völlig frei bzw. muss eben gar keine Aktivitäten planen. So habe ich mir den Tag eingerichtet, dass ich morgens mein Zuhause immer wieder ein wenig auf Vordermann bringe oder mich um Bürosachen (die lieben Steuern) kümmere. Am Mittag sorge ich für die kulinarische Verpflegung von meinem Mami und mir. Und nachmittags widme ich mich all der Lektüre, die da auf mich wartet. Versinke in spannende Krimis oder lasse mich von weisen Schriftstellern inspirieren.
Und nun frage ich mich: Ist das nicht ein unglaubliches Privileg? Doch, ich finde schon. Und so schaue ich die aktuelle Zeit für mich als geschenkte Zeit an und hoffe, dass wir dennoch irgendwann mal Licht am Horizont sehen und uns auf eine glückliche Zukunft freuen dürfen.
Und ich finde, wir sind schon im Licht. Wir müssen uns nur erlauben, die alten Strukturen loszulassen und uns auf etwas neues einlassen...
Auf ein nächstes Zuwinken durchs Fenster.